Wirklich unberührte Natur findet man in unserem dichtbesiedelten Kontinent selten – und doch liegt im Osten Polens ein Stück Land dessen Ursprünge bis zum Ende der letzten Eiszeit um 10.000 B.C. zurückgehen: der letzte Urwald Europas.
An der Grenze zwischen Polen und Weißrussland erstreckt sich über 1500 km² der Wald von Białowieża, von dem etwa die Hälfte als UNESCO Weltnaturerbe anerkannt ist. Ein wesentlich kleinerer Teil des Waldes bildet auf polnischer Seite den Nationalpark Białowieża, der teilweise unter sehr strengem Schutz steht und von Besuchern nur mit besonderer Genehmigung betreten werden kann.
Die letzte Zuflucht der Wisente
Die Bedeutung des Białowieża Waldes rührt nicht zuletzt daher, dass er der letzte Zufluchtsort des größten europäischen Säugetiers ist. In anderen Teilen des Kontinentes schon vor Jahrhunderten ausgerottet, lebten bis zum Ende des Ersten Weltkriegs noch wilde Wisente – auch als Europäische Bisons bekannt – in Białowieża. Schon im 16. Jahrhundert stand der Wald unter besonderem Schutz, sodass sich die Natur weitgehend ohne Eingriff von Menschenhand entwickeln konnte. Diesem Umstand ist zu verdanken, dass neben Wisenten, Elchen, Wölfen, Luchsen und anderen seltenen Tierarten auch Jahrhunderte alte Eichen und Linden im Wald von Białowieża zu finden sind. Nachdem 1919 das letzte Wisent Wilderern zum Opfer fiel, wurden seit den 1950ern wieder europäische Bisons in Białowieża ausgewildert, deren Population bis heute auf etwa 450 Tiere angewachsen ist.
Wanderungen im Białowieża Nationalpark
Wer den streng geschützten Teil des Nationalparks besuchen möchte, muss dies in Begleitung eines lizensierten Führers tun und – sollte die Wanderung länger als drei Stunden dauern – beim Direktor des Parks eine besondere Genehmigung einholen. Was auf den ersten Blick als unnötiger bürokratischer Aufwand erscheinen mag, sollte interessierte Besucher nicht abschrecken: der Aufwand lohnt sich und bei jedem Besuch in Białowieża sollte man im Hinterkopf haben, dass der Schutz dieses uralten Ökosystems im Vordergrund steht. In Gruppen von maximal 20 Personen kann man auf einer etwa dreistündigen Wanderung eine Landschaft durchstreifen, die jahrhundertelang in Europa vorherrschte und im Laufe der Zeit auf kleine Gebiete wie Białowieża reduziert wurde. Je nach Jahreszeit kann man mit etwas Glück einen Blick auf die heimischen Tiere erhaschen. Der Winter eignet sich besonders, um Bisons zu beobachten, die sich in Herden um die Futterstellen versammeln, während man im Frühjahr erleben kann, wie der Wald erblüht und lebendig wird, und im Herbst die Stimmen brunftiger Tiere durch das bunte Blättermeer hallen.
Noch tiefer eintauchen in den polnischen Urwald kann man auf einer weiteren, sechststündigen Wanderung, die nur in kleinen Gruppen durchgeführt wird und bei der die Chancen, einheimische Tiere zu beobachten, noch höher stehen. Da diese Tour vom Park Management genehmigt werden muss, ist eine Anmeldung einige Tage vor der eigentlichen Wanderung erforderlich.