Hamburg (dpa/tmn) – Wenn Bernd Lohse vom Pilgern spricht, ist seine Begeisterung fast greifbar. Er erzählt von reiner Luft, überwältigenden Landschaften und gastfreundlichen Menschen. Von dem Reichtum, der in der selbst auferlegten Armut der Wanderschaft liegt.
Und von dem, was mit ihm passiert, wenn er sich auf den Weg begibt: «Pilgern macht mich so wunderbar klein. Es ist unglaublich entlastend, wenn ich auf einem Hochplateau stehe und sehe, wie groß die Welt doch eigentlich ist. Pilgern hat mich das Staunen gelehrt.»
Bernd Lohse pilgert seit vielen Jahren – und seit acht Jahren ist er Pilgerpastor in Hamburg. In seinem Pilgerzentrum berät und betreut er Pilger vor und nach ihren Reisen und führt mehrmals im Jahr Gruppen über diverse Pfade in Europa, zum Beispiel über seinen Lieblingsweg, den Olavsweg in Norwegen. Allein sein Zentrum stelle inzwischen jedes Jahr rund 1000 Pilgerpässe für die unterschiedlichsten Wege aus.
Von Jahr zu Jahr zieht es mehr Menschen auf Pilgerpfade wie den Jakobsweg. Im Jahr 2005 meldeten sich noch 93 924 Menschen im Pilgerbüro von Santiago de Compostela und wiesen mit abgestempelten Pilgerpässen nach, dass sie mindestens die letzten 100 Kilometer zu Fuß zurückgelegt haben – 2015 waren es bereits 262 516.
Susanne Leder, Professorin für Tourismusmanagement an der Fachhochschule Südwestfalen, ist sicher: «Pilgern ist definitiv ein langfristiger Trend, keine Modeerscheinung.» Pilger gehörten den unterschiedlichsten Berufsgruppen an, es sind fast genauso viele Frauen wie Männer. Und sie werden immer jünger: Oft sind es Menschen in den Dreißigern und Vierzigern, die sich auf den Weg machen.
«Viele wünschen sich einen Ausstieg auf Zeit, Distanz zum Alltag, Ursprünglichkeit, Körperlichkeit und Askese – unabhängig von Religiosität», sagt Leder. Wolfgang Zettler ist Geschäftsführer des Bayerischen Pilgerbüros, dem ältesten Anbieter für Pilgerreisen in Deutschland. Er ist überzeugt: «Sinn löst mittelfristig Sonne ab. Die Menschen wollen immer weniger austauschbare Badeziele, sondern spirituelle Auszeiten.» Doch der Markt verändert sich: Viele der jüngeren Pilger sind lieber alleine unterwegs, als sich Gruppenreisen anzuschließen. Individualtourismus wird immer wichtiger.
Außerdem sei die Nachfrage nach Reisen in die Wallfahrtsorte dramatisch eingebrochen, sagt Zettler. Dafür würden die Wege immer beliebter, nicht nur der berühmte Jakobsweg, sondern auch weniger bekannte wie der norwegische Olavsweg, der Franziskusweg in Italien oder die nach Rom führende Via Francigena. Profiteure sind die Regionen mit Pilgerrouten – auch in Deutschland. Bestehende Wege werden ausgebaut und mancherorts sogar alte Routen reanimiert. «Überall verbessert sich die Infrastruktur für Pilger», sagt Forscherin Susanne Leder. «Insbesondere den deutschen Abschnitten des Jakobswegs nutzt diese Entwicklung.»
Wer sich für eine Pilgerreise interessiert, sollte jenseits aller Trends einige wichtige Dinge beherzigen:
Gute Vorbereitung: «Holen Sie sich Impulse durch Reiseführer, erkundigen Sie sich über die verschiedenen Routen und deren Herausforderungen», sagt Reiseveranstalter Wolfgang Zettler. Pastor Lohse rät: «Übernehmen Sie sich nicht! Laufen Sie nicht gleich sechs Wochen nach Santiago. Finden Sie erst einmal heraus, wie es sich mit Rucksack und Stiefeln bei jedem Wetter draußen anfühlt.»
Allein oder in der Gruppe: «Manchmal ist es gut, allein zu sein, gerade Menschen in kommunikativen Berufen genießen das sehr», sagt Pastor Lohse. Gruppen hingegen könnten entlasten, man finde immer jemanden zum Reden.
Der richtige Veranstalter: Einige Reiseanbieter sind eher religiös, andere kulturell orientiert. Wer organisiert verreisen möchte, sollte sich überlegen, was besser zu ihm passt.
Fotocredits: Florian Schuh,Florian Schuh,Florian Schuh,FH Südwestfalen,Florian Schuh,Jens Ressing
(dpa)